Wenn Katzen Unternehmen führen

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Die 200 Jahre alten Märchen der Brüder Grimm haben hohen emotionalen Gehalt und vermitteln Tugenden, die auch für Organisationen wichtig sind. Prof. Rolf Wunderer von der Universität St. Gallen verbindet seit zehn Jahren die Erkenntnisse der Märchenforschung mit der Managementlehre. Im Interview mit Andrea Jindra vermittelt Prof. Wunderer neue Blickwinkel aus der Managementforschung auf die beliebten Märchen der Kindheit.

Herr Prof. Wunderer, Sie forschen bereits seit zehn Jahren an dem Thema „Management und Märchen“. Wie sind Sie darauf gekommen, Märchen auf das Management zu übertragen?

Prof. Wunderer: Ich stellte bei Seminaren fest: Anschauliche Beispiele zu Führungsfragen und Motivation bleiben besser hängen als nur nüchterne Zahlen und Ergebnisse von Untersuchungen. So begann ich vor zehn Jahren, Führungsstile der letzten 50 Jahre mit Tiermetaphern zu beschreiben. Sie reichen vom autoritären Führungsstil der 50er Jahre nach der Befehlstaktik, der sogenannten „Schäferhundführung“ „Sitz, Platz, fass“, über die Auftragstaktik mittels Jagdhunden: „Apport“, die Kooperation im Huskygespann bis hin zur delegativen „Katzen-“ und teilautonomen „Katerführung“ als den heute bevorzugten Führungsstilen. Die Märchenfigur des Gestiefelten Katers pflegt sogar den Führungsstil des „Managing the Boss“.

Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen dem Gestiefelten Kater und dem heutigen Management?

Prof. Wunderer: Katzenartiges Denken und Handeln nimmt zu, auch wegen Wertewandel und höherer Ausbildung. Wenn Führungsspannen zunehmen, müssen sich Manager auf Fachwissen und Entscheide ihrer Mitarbeiter verlassen können. Hier ist kreatives Mit-Unternehmertum gefragt. Der gestiefelte Kater wie auch das tapfere Schneiderlein zeigen autonome Selbststeuerung.

Der Kater versteht viel von Marketing und Produktivität. Statt Mäuse fängt er die vom König wesentlich gesuchteren Rebhühner, betreibt also uptrading. Sein Meisterstück aber ist sein „unfriendly takeover“, also seine kreative Übernahme des Zaubererschlosses, das er nun als Haus seines Herrn deklariert. Es folgt die Heirat mit der Prinzessin und damit eine Fusion der beiden mächtigsten Institutionen des Reichs. Und so wird der Müllersohn König und sein Kater erster Minister.

Auch in Firmen zeigt sich: Chefs lassen sich von Mitarbeitern führen, wenn diese fachlich mehr wissen. Als Problem zeigte sich, dass klassische „Hundeführer“ große Probleme bei der Führung von Katzen und Katern haben. Letztere arbeiten in der Praxis oft als freie Mitarbeiter oder in eigener Firma. Viele Märchenhelden agieren als katzentypische autonome Freelancer mit großen Chancen und Risiken.

Welches Märchen verwenden Sie noch zur Veranschaulichung einer aktuellen Führungssituation?

Prof. Wunderer: Ein Thema ist heute Mobbing, oft über Internet. Das wird sehr gut im Märchen Aschenputtel gezeigt. Stiefmutter und -schwestern setzen es extremen Belastungen aus, zum Beispiel ausgrenzen, Spitznamen geben, in die Herdasche vertreiben, verspotten, dazu noch Linsensortier-und Schuh-Assessments. Eine Motivation der Stiefmutter kann das Konzept vom „egoistischen Gen“ erklären, das die eigene „Brut“ bevorzugt. Dazu delegiert sie noch Mobbingkompetenzen an ihre Töchter und bricht mehrfach Verträge bei den Linsensortiertests. Schließlich fordert sie in extremer Karrieresucht die Selbstverstümmelung ihrer Töchter. Und der eigene Vater zeigt keinerlei Commitment gegenüber Aschenputtel. Er duldet das Mobbing und hilft noch beim obsessiven Verfolgen, dem „Stalking“ des Prinzen nach zwei Bällen. Spannend aus Managementsicht sind auch der beispielhafte Durchhaltewillen und die Resilienz der Heldin bei all diesen Bedrohungen. Ihr Fremd- und Selbstvertrauen stützen sie und stärken ihre Selbstwirksamkeit. Sie beweist unternehmerische Qualifikationen, findet also kreative Problemlösungen, verhält sich sozialkompetent und setzt ihre Entscheidungen reflektiert mit ihrem Netzwerk um.

Warum sind Märchen aus Ihrer Sicht so wichtig?

Prof. Wunderer: Eine aktuelle Untersuchung des Instituts für Demoskopie erhob 2009 zentrale Erziehungsziele von Eltern in Deutschland. Das Ergebnis lautete: Eltern wollen ihren Kindern Werte wie Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein, Selbstständigkeit, Höflichkeit und gutes Benehmen vermitteln, persönliche Fähigkeiten entfalten, Hilfsbereitschaft und Gerechtigkeitssinn zeigen. Aus meinem Forschungsprojekt ergaben sich hohe Übereinstimmungen der Erziehungsziele der Brüder Grimm und ihrer Märchen vor 200 Jahren mit denen heutiger Eltern. Das sind also Tugenden, die auch für Organisationen wichtig sind. Diese Werte verlangen wir von guten Managern und Mitarbeitern.

Mittlerweile belegen auch die Neurowissenschaften, dass Prägungen der Persönlichkeit früh beginnen und nachhaltig wirken. Charakter und Persönlichkeit eines Kindes bilden sich besonders in den ersten Jahren nach der Geburt aus. Während der Schulzeit stabilisiert sich dann die Persönlichkeit. Märchen werden bis ins Alter von zehn Jahren gelesen, gesehen und gehört. Wenn man also Kinder nach den Grimm’schen Märchen erzieht, werden sie damit auch schon unterstützend und bleibend auf Werte von Managern sozialisiert.

Ein Problem heutiger Erziehung sehe ich, wenn die technische und mentale Prägung vor der emotionalen rangiert. So bietet man Kleinkindern schon iPhones mit Babyapps und schickt sie möglichst bald in Frühenglisch, statt sich verstärkt um ihre emotionale und soziale Erziehung zu kümmern. Diese kann man nur begrenzt delegieren und sie ist nicht PISA relevant.

Märchen kommunikativ vermittelt, können mit ihrem hohen emotionalen und werteorientierten Gehalt die Erziehung unterstützen.

Was sagen Manager, wenn Sie mit Märchen als Metaphern arbeiten?

Prof. Wunderer: Die Reaktionen sind sehr individuell und zielgruppenorientiert verschieden. Frauen kennen meist mehr Märchen, sind häufiger daran interessiert. Kommunikations-, Marketingmanager und Personalentwickler sind meist offener dafür als rationale Gruppen aus der Technik oder dem Finanzbereich. Auffallend ist, dass gerade Jüngere klassische Märchen nicht mehr kennen. Bei der Arbeit mit Managern ist es erfolgreich, die Märchen mit klaren Managementkonzepten, mit unternehmerischen Kompetenzen und Leitwerten oder Instrumenten wie Portfolioanalysen oder dem Führungsstilkontinuum zu verbinden. Das betrifft auch konkrete Probleme des Führungsalltags wie Motivation, Vertragstreue, Loyalität oder „Commitment“ sowie Mobbing. Immer wieder bekomme ich auch die Rückmeldung von Teilnehmenden aus meinen Vorträgen, dass sie sich zukünftig wieder mehr mit Märchen beschäftigen wollen.

(Erschienen in SUCCEED 02/2012) Text: Mag. Andrea Jindra

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