In den zurückliegenden Wochen kehrten nach dem corona-bedingten Lockdown viele Mitarbeiter, die bisher in Kurzarbeit waren oder im Homeoffice arbeiteten, wieder an ihre „normalen“ Arbeitsstätten zurück – oft mit gemischten Gefühlen. Das macht das Führen der Mitarbeiter schwierig
Die Lebenswelten der Mitarbeiter von Unternehmen sind verschieden, auch ihre biografisch bedingten Erfahrungen und Wertesysteme. Deshalb reagieren sie auf dieselben Ereignisse emotional verschieden. Das zeigt sich gerade in Ausnahmesituationen wie der Corona-Krise. Während die einen in den zurückliegenden Monaten unter anderem aufgrund der Bilder aus italienischen Kliniken, überspitzt formuliert, ihr baldiges Lebensende befürchteten, genossen andere die Lockdown-bedingte Auszeit und das schöne Wetter und dachten: Auch diese Katastrophe geht vorüber.
Mit diesen Gefühlsextremen wurden die Personalverantwortlichen bzw. Führungskräfte in den Wochen nach dem Lockdown meist nur mittelbar konfrontiert, denn häufig waren ihre Mitarbeiter in Kurzarbeit oder im Homeoffice tätig. Doch in den zurückliegenden Wochen kehrten sie zunehmend wieder an ihren Arbeitsstätten im Betrieb zurück.
Tipp 1: Machen Sie sich die Unterschiedlichkeit der Lebens- und Erfahrungswelt der Rückkehrer bewusst.
Hierüber freuen sich manche „Rückkehrer“, andere haben gemischte Gefühle, wenn nicht gar Angst – zum Beispiel,
- weil sie sich vor einer Infektion am Arbeitsplatz fürchten oder
- weil zuhause ihre Kinder sind, deren Schulen noch geschlossen sind, oder
- weil sie sich fragen: Wie geht im Betrieb weiter? Welche Veränderungen kommen auf mich zu? Eventuell sogar Arbeitslosigkeit?
Machen Sie sich die Unterschiedlichkeit des Lebens und Erlebens Ihrer Mitarbeiter bewusst, denn nur dann können Sie angemessen hierauf reagieren.
Tipp 2: Stellen Sie sich darauf ein, dass Spannungen entstehen und zuweilen die Emotionen hochkochen.
Nicht selten wird das unterschiedliche Wahrnehmen und Empfinden zu Spannungen in der Belegschaft führen. So berichten Personalverantwortliche zum Beispiel, dass die Mitarbeiter ihrer Unternehmen recht kontrovers darüber debattieren, inwieweit in der „Nach-Corona-Zeit“ ein Arbeiten im Homeoffice noch möglich sein sollte. Oder dass Produktionsmitarbeiter sich verärgert darüber zeigen, dass sie schon „antanzen“ müssen, während die Büromitarbeiter noch im Homeoffice sind.
Auf solche Debatten müssen sich die Führungskräfte und HR-Abteilungen auch künftig einstellen; außerdem darauf, dass die Mitarbeiter emotional sensibler als in der Vor-Corona-Zeit reagieren.
Tipp 3: Rechnen Sie damit, dass Mitarbeiter ihre „Scheingefechte“ führen.
Mitarbeiter wissen meist aus Erfahrung: Wenn eine Person in Unternehmen Gefühle zeigt, wird dies von ihren Gesprächspartnern oft als Schwäche interpretiert. Deshalb sind sie bemüht, am Arbeitsplatz wenig emotionale Betroffenheit zu zeigen. Sie verbergen ihre Empfindungen hinter scheinbar rationalen Argumenten.
Deshalb wird in Unternehmen oft endlos über Kleinigkeiten diskutiert. Und erreichen die Personen so ihre Ziele nicht? Dann versuchen sie dies häufig über Umwege – zum Beispiel, indem sie bewusst Beschlüsse fehlinterpretieren und Aufgaben vergessen.
Rechnen Sie mit einem solchen Ausweichverhalten.
Tipp 4: Suchen Sie das Gespräch mit Ihren Mitarbeitern und zeigen Sie ihnen, dass Sie ihre Bedenken ernst nehmen.
Die Gefahr, dass Mitarbeiter ein Ausweichverhalten zeigen, ist umso größer als je unsicherer sie ihre Situation empfinden. Suchen Sie deshalb aktiv das Gespräch mit den Mitarbeitern. Sprechen Sie mit ihnen soweit möglich offen darüber, in welcher Situation sich das Unternehmen befindet und was dies für sie bedeutet – zum Beispiel, indem Sie sagen: „Unser Betrieb hat aktuell die Probleme A und B und steht vor den Herausforderungen C und D. Das heißt für uns, dass….“
Stehen Sie zudem dazu, dass auch Sie nur ein Mensch aus Fleisch und Blut sind, zum Beispiel, indem Sie zu den Mitarbeitern sagen: „Auch ich stehe momentan unter Druck. Legt deshalb bitte nicht jedes Wort und jede Reaktion von mir auf die Goldwaage.“
Erklären Sie ihnen zudem immer wieder, dass auch die Top-Entscheider in Ihrem Unternehmen nur bedingt wissen, wie es weitergeht und sozusagen auf Sicht fahren. Dies sollten Sie speziell dann tun, wenn Planungen mal wieder über Bord geworfen werden. Sonst schürt dies die Ängste und den Unmut der Mitarbeiter.
Tipps 5: Machen Sie sich bewusst, dass es auch Ihre Aufgabe ist, Ihren Mitarbeitern einen emotionalen Halt zu bieten.
In manchen Branchen gehen die Top-Entscheider davon aus, dass die Umsätze ihrer Unternehmen langfristig um 20 oder gar 30 Prozent sinken. Deshalb stehen bei ihren Meetings auch Themen auf der Agenda wie:
- Sollen wir gewisse Geschäftsbereiche schließen?
- Müssen wir Mitarbeiter entlassen?
Dies kommunizieren die Top-Manager meist jedoch noch nicht öffentlich (auch an die ihnen nachgeordneten Führungskräfte), weil sie sich in folgender Zwangslage befinden: Ein vorzeitiges Publik-werden ihrer Erwägungen könnte negative Folgen für das Unternehmen haben – zum Beispiel für dessen Kundenbeziehungen, Image, Finanzierungsmöglichkeiten usw.
Also können Sie als Führungskraft in einer „Sandwich-Position“ solche Entscheidungen nicht gänzlich ausschließen. Stehen Sie in den Gesprächen mit den Mitarbeitern dazu, dass Sie nicht mit 100-prozentiger Sicherheit wissen, wie es weiter geht; versprechen Sie ihnen aber: „Ich informiere euch über alle Sachverhalte, die euch betreffen, so früh wie mir möglich.“
Seien Sie sich dabei jedoch bewusst: Ihre Funktion als Führungskraft ist es auch, Ihren verunsicherten Mitarbeitern Halt zu bieten. Sie sollten also im Mitarbeiterkontakt, soweit möglich, auch stets die Zuversicht ausstrahlen „Wir schaffen es, wenn.…“ Das erfordert von Ihnen zuweilen eine gewisse Schauspielerei. Versuchen Sie aber bei Ihren öffentlichen Verlautbarungen, soweit möglich, bei der Wahrheit zu bleiben, auch um Ihre Glaubwürdigkeit nicht zu verlieren.
Tipp 6: Machen Sie sich Ihr Wertesystem bewusst und reflektieren Sie regelmäßig Ihr Verhalten.
Wichtig ist es in den kommenden Wochen und Monaten, dass Führungskräfte – gerade weil sie selbst unter Druck stehen – regelmäßig reflektieren:
- Was ist mein Wertesystem und was kennzeichnet meine Lebens- und Arbeitssituation? Und:
- Wodurch unterscheiden sich diese von meinem Gegenüber?
Sonst ist die Gefahr groß, dass sie auf Verhaltensweisen oder emotionale Äußerungen ihres Gegenübers, die sie irritieren, irrational oder mit Killerphrasen reagieren wie „Nun regen Sie sich mal nicht so auf“. Solche Aussagen verletzen das Gegenüber. Sie zerstören letztlich das, was sich Führungskräfte von ihren Mitarbeitern wünschen:
- Identifikation mit ihrer Aufgabe sowie dem Unternehmen und
- die Bereitschaft, sich hierfür zu engagieren.
Wichtig ist eine Kenntnis Ihres eigenen Wertesystems auch, damit Sie einen inneren Kompass haben, um Ihr Verhalten zu reflektieren und bei Bedarf neu zu justieren. Denn klar ist: Mit Situationen und Herausforderungen, mit denen Sie nicht gerechnet haben, werden Sie in den kommenden Monaten noch oft konfrontiert. Also brauchen Sie einen inneren Kompass. Sonst schwanken Sie nicht nur aus Mitarbeitersicht wie ein Rohr im Wind.
Über den Autor:
Joachim Simon, Braunschweig, ist Führungskräftetrainer und -coach. Mit dem von ihm konzipierten Online-Programm „Egoleading“ können (angehende) Führungskräfte die Skills trainieren, die sie im digitalen Zeitalter zum Führen von Menschen und Unternehmenseinheiten brauchen.