Wie kommt es, dass fast die Hälfte aller im Beruf stehenden Personen zumindest zeitweise an Überforderung oder gar Burnout leidet? Ein Hauptproblem ist, dass – salopp gesagt – zu viele Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten sind. Endlose Besprechungen, zu viele Projekte gleichzeitig und ständige Verfügbarkeit sind nur einige der Belastungen.
Endpunkte, Ziellinien und klare Grenzen sind verlorengegangen. Sie wurden von der Technologie bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Unsere Arbeit folgt uns überall hin; unsere digitalen Geräte lassen uns keine Ruhe. Wie bei einem hartnäckigen Juckreiz, können wir es nicht lassen, zu kratzen, obwohl dadurch unweigerlich alles nur noch schlimmer wird.
Mal ganz ehrlich…
Wer surft nie während einer Telefonkonferenz oder gar während eines Gesprächs mit nur einer Person im Internet? Wer nutzt nicht seinen Laptop bei Meetings zur Beantwortung von E-Mails, während er vorgibt, eifrig Notizen zu machen? Wer isst nicht zwischendurch oder im Regelfall am Schreibtisch zu Mittag, ohne dabei den Blick vom Monitor zu wenden? Vermutlich nimmt auch fast jeder hin und wieder im Auto Anrufe ohne Freisprechanlage entgegen oder schickt gar beim Fahren eine WhatsApp-Nachricht, obwohl bekannt ist, wie gefährlich das ist.
Energiereserven werden aufgebraucht
Natürlich muss es nicht gleich zu einem Zusammenbruch aufgrund dieses dauernden Multitaskings kommen. Doch die persönliche Produktivität zahlt im Endeffekt den höchsten Preis dafür. Geschuldet wird dies der einfachen Tatsache der geteilten Aufmerksamkeit. Wer sich mit mehreren Tasks so halb beschäftigt, kann unmöglich gleichzeitig einer Aufgabe volle Aufmerksamkeit widmen. Zusätzlich wird durch dieses Hin- und Zurückschalten von und zur Hauptaufgabe der Zeitaufwand zur Erledigung um durchschnittlich 25 Prozent erhöht. Besonders tückisch aber ist, dass durch dieses ständige Jonglieren mehrerer Aufgaben, ohne jegliche Atempause, die Energiereserven langsam aber sicher aufgebraucht werden – bis am Ende des Tages nichts mehr bleibt.
Höhere Produktivität durch volle Konzentration
Wird dagegen die volle Aufmerksamkeit auf ein Projekt gerichtet, kann im gleichen Zeitraum ein wesentlich größeres Pensum erbracht werden, manche schaffen sogar das doppelte oder gar die dreifache Leistung. Vorausgesetzt, intensiven Arbeitsphasen folgen echte Erholungsphasen, also Pausen, die auch wirklich als Pausen zur Regeneration genutzt werden und nicht schon wieder, um E-Mails oder WhatsApp-Nachrichten zu checken. Entsprechend liegt für ein Unternehmen der bessere Weg zur höheren Produktivität und innovativerem Denken darin, Mitarbeiter zu ermutigen, festgelegte Perioden vollständiger Konzentration anzustreben, gefolgt von kurzen, aber richtigen Erholungspausen.
Unendliche Meetings fordern Multitasking heraus
Die Rahmenbedingungen dafür müssen vom Management geschaffen werden. Verschiedene Ansatzpunkte sind dafür geeignet. Besprechungen beispielsweise sind oft wahre Zeitfresser und fordern die Teilnehmer zum Multitasking formlich heraus. Werden sie jedoch grundsätzlich als kurze, disziplinierte Meetings mit maximal 45 Minuten statt einer Stunde oder mit „open end“ angesetzt, bleiben die Teilnehmer leichter fokussiert. Wichtig ist, dass alle Meetings zu einer präzisen Uhrzeit beginnen und auch enden. Während dieser Zeit sollte die Nutzung digitaler Geräte tabu sein. Anschließend bleibt so Zeit, über das Besprochene zu reflektieren und vor der nächsten Aufgabe etwas Luft zu schnappen.
Antworten nicht mehr sofort – geben und erwarten
Die Angewohnheit zu jeder Tageszeit sofort eine Antwort zu erwarten (oder gar zu verlangen), sollte hinterfragt werden. Sie zwingt nämlich die Mitarbeiter dazu, ständig reaktiv zu sein, zerstört ihre Aufmerksamkeit und sie können sich nicht ununterbrochen ihren Prioritäten widmen. Auch die Möglichkeit, das E-Mail-Programm zeitweise auszuschalten sollte gegeben sein. In wirklich dringenden Fällen gibt es immer noch das Telefon. Als Gegengewicht zur konzentrierten Arbeit kommt der Erholung erhöhter Stellenwert zu. Jeder Mitarbeiter sollte mindestens eine verbindliche Auszeit am Tag wahrnehmen. Ein Regenerationsraum, in dem Mitarbeiter sich ausruhen oder auftanken können, ist ebenso möglich wie ein Yoga- oder Meditationskurs am Nachmittag, eine Sportstunde oder der gemeinsame Mittagsspaziergang um den Block.
Verantwortung des Einzelnen
Es liegt natürlich auch am Einzelnen, klare Grenzen für sich zu setzen. Eine gut strukturierte Arbeitsweise hilft dabei. Idealerweise wird das Wichtigste ohne Unterbrechung gleich morgens erledigt. Der Zeitraum mit fester Start- und Endzeit sollte aber 60 bis 90 Minuten nicht überschreiten. Ist kein abgeschirmter Arbeitsplatz vorhanden, können geräuschunterdrückende Kopfhörer nützlich sein. Das Wissen um den vordefinierten Endpunkt hilft jeder Ablenkungsversuchung zu widerstehen. Je intensiver sich jemand in die Aufgabe vertiefen kann, umso produktiver wird er sein. Anschließend sind ein paar Minuten zur Erholung obligatorisch! Regelmäßige Zeiten für langfristige, kreative oder strategische Planung verhindern, der ständigen Tyrannei des “Jetzt, jetzt, jetzt“ ausgeliefert zu sein. Auch hierfür empfiehlt sich ein eigenes Umfeld, das entspannt und sich besonders für aufgeschlossenes Denken eignet. Steht kein Besprechungsraum bereit, können solche Planungsrunden auch einmal außer Haus tagen.
Anspannung und Entspannung
Regelmäßiger Urlaub muss sein. Und zwar richtig, ohne in Gedanken noch immer oder schon wieder bei der Arbeit zu sein. Nur wer vollkommen von der Arbeit abschaltet, kann sich regenerieren. Regelmäßig bedeutet, wenn irgend möglich, mehrmals im Jahr, auch wenn es ein paarmal nur ein verlängertes Wochenende ist. Untersuchungen lassen keinen Zweifel: Menschen sind bedeutend gesünder, wenn sie Ihre gesamte Urlaubszeit in Anspruch nehmen – und produktiver obendrauf. All diesen Empfehlungen liegt ein einfaches Prinzip zugrunde: Wenn Sie eine Aufgabe erledigen, dann fokussieren Sie sich vollständig darauf, während eines vordefinierten Zeitraums. Wenn Sie sich erholen, dann erholen Sie sich richtig. Seien Sie immer vollständig bei der Sache und hören Sie auf, in der Grauzone dazwischen zu leben.
Über die Autoren:
Rudolf Burkhard ist Director Business Development und Gründungsgesellschafter der VISTEM GmbH & Co. KG. Der Fokus des Dipl.-Ing. Chemiker MBA als Coach, Berater und Senior Implementation Manager liegt in der ganzheitlichen Unternehmensentwicklung. Er ist zertifizierter TOC-Practitioner in CCPM, Production, Sales und Marketing, Finanzen und Kennzahlen sowie Denkwerkzeuge.
Claudia Simon ist Geschäftsführerin der VISTEM GmbH & Co. KG. Gemeinsam mit einem Expertenteam berät und begleitet sie nationale und internationale Unternehmen in ihrer Wachstumsentwicklung. Das Ziel: Ein florierendes Unternehmen und nachhaltiger Erfolg. Der Weg: Potentialerschließung durch konsequente Umsetzung der engpassorientierten Unternehmensführung. Innovative Methoden rund um Strategieentwicklung und Ressourcenmanagement stehen dabei im Mittelpunkt.