Beim Führen von Mitarbeiter auf Distanz und Kommunizieren mit ihnen über digitale Medien zeigen viele Führungskräfte Verhaltensunsicherheiten. Dies gilt es zu beheben, wenn die digitale Kommunikation ein fester Bestandteil der Regelkommunikation wird – zum Beispiel weil Mitarbeiter dauerhaft im Homeoffice arbeiten.
Die digitale Kommunikation hat im Business-Kontext durch den corona-bedingten Lockdown einen enormen Pusch erfahren. Führungskräfte konnten zum Beispiel plötzlich mit Mitarbeitern und Kollegen, aber auch Dienstleistern, Lieferanten und Kunden, die sie zuvor, wenn nicht täglich, so doch regelmäßig persönlich trafen, nur noch via Telefon oder per Mail kommunizieren und Meetings, bei denen sich zuvor alle Teilnehmer um einen Tisch scharten, fanden plötzlich online statt.
Für viele Führungskräfte bedeutete dies eine große Umstellung, doch absolutes Neuland betraten sie meist nicht, denn: Auch schon vor dem Ausbruch der Covid 19-Pandemie gewann die digitale Kommunikation beim Wahrnehmen ihrer Aufgaben zunehmend an Bedeutung und verbrachten sie mehr Zeit zum Beispiel mit dem Schreiben und Beantworten von Mails als vor 15 oder 20 Jahren. Auch Video-Calls und -Konferenzen mit Mitarbeitern und Kollegen an anderem Standorten oder Business-Partnern waren für viele Führungskräfte nicht ungewohnt.
Strukturwandel erfordert andere Kommunikation
Unter anderem aus folgendem Grund: Die Beziehungssysteme, in denen die Unternehmen ihre Leistung erbringen, wurden in den letzten Jahren – im Zuge der Globalisierung, aber auch, weil die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie zunehmend den Aufbau der hierfür erforderlichen technischen Infrastruktur ermöglichte – immer komplexer. So sind in die Leistungserbringung der Unternehmen bzw. ihrer Bereiche heute oft nicht nur mehr Mitarbeiter und Kollegen an anderen Standorten, sondern auch externe Dienstleister involviert, mit denen es die Zusammenarbeit zu koordinieren gilt. Zudem sind die Unternehmen im Zuge ihres Bestrebens, ihre Agilität und Reaktionsgeschwindigkeit – oder allgemein Effizienz – zu erhöhen, seit Jahren bemüht,
- das sogenannte „Säulendenken“ in ihrer Organisation zu überwinden und
- außer der hierarchieübergreifenden, auch die bereichs- und funktionsübergreifende Zusammenarbeit zu verbessern.
Auch dies erhöht den Koordinierungs- und Abstimmungsbedarf, der oft nur digital befriedigt werden kann.
Corona war bzw. ist nur ein Verstärker
Diese Entwicklung wird sich fortsetzen – unabhängig davon, ob das Corona-Virus irgendwann wieder aus unserem Leben verschwindet oder nicht. Darauf weisen alle Entwicklungen hin, die im Zusammenhang mit solchen Schlagworten wie „Industrie 4.0“ und „Digitalisierung der Wirtschaft“, aber auch „New Work“ diskutiert werden.
Je bedeutsamer aber die digitale Kommunikation für ein erfolgreiches Wahrnehmen der Führungsaufgaben wird, umso wichtiger wird es, dass Führungskräfte wissen,
- inwiefern sich die digitale von der analogen bzw. persönlichen Face-to-face-Kommunikation unterscheidet und
- wie sie diese gestalten sollten, damit sie ihre Funktion in der Organisation erfüllen.
Beim Versuch, diese Fragen zu beantworten, sollte man sich zunächst vor Augen zu führen, was die Kernaufgabe einer Führungskraft ist. Sie lautet, dafür zu sorgen, dass der ihr anvertraute Bereich seinen Beitrag zum Erfolg des Unternehmens leistet. Alle anderen Führungsaufgaben ordnen sich dieser Kernaufgabe unter. Konkret heißt dies: Eine Führungskraft muss ihr Umfeld so gestalten bzw. hierauf so einwirken, dass alle an der Leistungserbringung beteiligten Personen in ihrem Arbeitsalltag
- die Entscheidungen treffen, die für die Zielerreichung nötig sind, und
- das hierfür erforderliche Verhalten zeigen.
Das heißt wiederum, eine Führungskraft muss die gewünschten Wirkungen in ihrem Umfeld erzielen. Sie muss sozusagen ein wirksamer Influencer in ihm sein. Nur dann ist sie eine echte Führungs-Kraft.
Kernfrage: Wie erziele ich die gewünschte Wirkung?
Demzufolge muss sich die Antwort auf Frage „Wie kommuniziere ich als Führungskraft?“ an der Antwort auf die Frage orientieren: Wie erziele ich die angestrebte Wirkung? Sie entscheidet unter anderem darüber: Sollte ich als Führungskraft ein Thema in einer größeren Runde ansprechen oder unter vier Augen? Sie entscheidet aber auch über den Kommunikationskanal: Sollte ich zum Beispiel das persönliche Gespräch suchen, zum Telefonhörer greifen oder eine Mail schreiben? Sie entscheidet aber auch über das Setting, das nötig ist, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.
In der klassischen Führungssituation, bei der die Führungskraft und ihre Mitarbeiter sich nicht selten mehrfach täglich sehen, ist dies den Führungskräften bewusst. In ihr haben sie meist verinnerlicht, dass man Mitarbeitern ein kritisches Feedback nicht vor der versammelten Mannschaft, sondern im Vier-Augen-Gespräch gibt – selbst wenn sie speziell in Stresssituationen zuweilen ein anderes Verhalten zeigen. Sie haben zudem verinnerlicht, dass sie, wenn sie von einem Mitarbeiter Mehrarbeit wünschen oder ihm Zusatzaufgaben übertragen möchten, dies möglichst nicht per Mail tun sollten. Vielmehr sollten sie zum Beispiel sein Büro aufsuchen oder zumindest zum Telefonhörer greifen, um ihm die Botschaft zu übermitteln.
Anders verhält es sich, wenn eine analoge Mensch-zu-Mensch-Kommunikation nur eingeschränkt möglich ist – sei es, weil die Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten oder ihre Büros an einem anderen Standort haben. Dann zeigen viele Führungskräfte Verhaltensunsicherheiten bzw. sie reflektieren, bevor sie zum Telefonhörer greifen, eine Mail versenden oder in einer Videokonferenz eine Aussage treffen, nicht ausreichend: Erziele ich damit die gewünschte Wirkung?
Führen auf Distanz erfordert andere Kommunikation
So macht es zum Beispiel einen großen Unterschied, ob eine Führungskraft einen Mitarbeiter, wenn sie ihn im Regelbetrieb zufällig auf dem Flur trifft, beiläufig mit einem freundlichen Lächeln fragt „Na, Herr (oder Frau) Müller, wie läuft’s? Alles klar?“ oder ob sie ihm, wenn er bzw. sie im Homeoffice arbeitet, eine Mail mit demselben Text sendet. Im ersten Fall wird dies in der Regel als Ausdruck eines persönlichen Interesses interpretiert, im zweiten Fall nicht selten als Kontrolle oder Ausdruck eines mangelnden Vertrauens empfunden, denn: Die Person bzw. der Adressat ist zwar dieselbe, aber die Situation bzw. Konstellation eine andere. Das machen sich viele Führungskräfte, auch Verfechter eines situativen Führungsstils, bei der digitalen Kommunikation nicht ausreichend bewusst.
Dass viele Führungskräfte bei der digitalen Kommunikation noch unsicher sind bzw. nicht ausreichend ihre Wirkung reflektieren, zeigte sich in der Lockdown-Phase auch häufig in den Videokonferenzen mit ihren nun im Homeoffice tätigen Mitarbeitern. In ihnen hatten die Mitarbeiter nicht selten den Eindruck: Unsere Führungskräfte sind schlechter vorbereitet als bei normalen Meetings und sie verlaufen unstrukturierter. Ob dies real der Fall war oder von den Teilnehmern aufgrund des Mediums nur so wahrgenommen wurde, darüber kann man streiten. Zudem registrierte ich, wenn ich als Moderator oder Gast an solchen Meetings teilnahm, oft:
- Die Führungskräfte loggen sich meist als letzter Teilnehmer und nicht selten gar verspätet ein,
- sie tragen, wenn sie selbst im Homeoffice arbeiten, häufig eine legere Freizeitkleidung statt des gewohnten Business-Looks,
- sie hängen nicht selten schlaff auf ihrem Stuhl (und sei es nur damit die Kamera sie besser erfasst) und
- im Hintergrund steht häufig ein Sofa und hängt zum Beispiel ein Strandbild mit Palmen.
Auch die digitale Kommunikation erfordert Regeln
Das registrierten auch die Mitarbeiter und davon ging gewiss nicht die Botschaft aus, die die Führungskräfte oft transportieren wollten: „Wir arbeiten nun zwar im Homeoffice, doch ansonsten gilt: Business as usual.“ Unverkennbar war zudem oft, es existieren keine Verhaltensregeln für die digitale Kommunikation wie zum Beispiel: Wer etwas sagen möchte, quatscht nicht einfach dazwischen; er hält vielmehr einen Gegenstand in die Kamera und ihm wird dann das Wort erteilt.
In der Phase nach dem corona-bedingten Lockdown, in der in den Unternehmen vieles einen provisorischen Charakter hatte, waren solche Defizite erwart- und tolerierbar. Wenn die digitale Kommunikation aber zur Regelkommunikation oder ein Teil von ihr wird, sollten auch für sie Qualitätsstandards und Regularien entwickelt werden. Zudem müssen die Führungskräfte – aber auch Projektmanager und Keyaccounter – darin geschult werden, wie sie auch in der digitalen oder hybriden Kommunikation, bei der sie die Kommunikationskanäle situationsabhängig wählen, die gewünschte Wirkung erzielen.
Digitale Kommunikation erfordert mehr Beziehungsarbeit
Dabei sollte zum Beispiel als Faustregel gelten: Je digitaler die Kommunikation ist, umso mehr Zeit sollten die Führungskräfte in die Beziehungsarbeit investieren, damit die persönliche Beziehung und das Vertrauen gewahrt bleiben. Zum Beispiel, indem sie ihre Mitarbeiter, da der Talk auf dem Flur entfällt, einfach auch mal so anrufen und mit ihnen bewusst nicht über die Arbeit schwatzen. US-amerikanische und skandinavische Unternehmen organisieren häufig auch virtuelle Teamevents, bei denen die Teilnehmer beispielsweise gemeinsam einen Film schauen, einen Umtrunk machen oder gar alle, jeder für sich dasselbe Gericht kochen und danach vor der Kamera verspeisen, weil sie wissen: Sonst geht schnell der Teamspirit verloren und unser Team wird zu einer Gruppe von Einzelkämpfern.
Generell stellte man in der Corona-Zeit fest: Viele Führungskräfte, die erstmals Videokonferenzen durchführten, waren überrascht, dass man bei ihnen deutlich mehr als erwartet von seinem jeweiligen Gegenübers wahrnimmt – zum Beispiel bezüglich seines Befindens. Nicht wenige wandelten sich deshalb vom Saulus zum Paulus. Waren sie zuvor erklärte Gegner dieser Kommunikationsform, dachten sie nun, alles könne per Video-Call oder -Konferenz kommuniziert werden. Dies ist nicht der Fall. Bei der Video-Kommunikation ist und bleibt die Wahrnehmung reduziert, und bei Video-Konferenzen fallen schneller einzelne Teilnehmer unter den Tisch, als wenn alle im selben Raum sitzen und der Blick der Führungskraft immer wieder in die Runde schweift.
Für die Kommunikation neue Rituale entwickeln
Deshalb hat es sich bei einer größeren Teilnehmerzahl bewährt, dass auf dem Tisch der Führungskraft eine Liste mit den Teilnehmernamen liegt, auf der sie im Konferenzverlauf zum Beispiel abhaken kann, wenn sie schon persönlich angesprochen hat, sodass niemand vergessen wird. Zudem ist es nach Videokonferenzen oft sinnvoll, einzelne Teilnehmer anzurufen und sie persönlich zu fragen: „Herr (oder Frau) Müller, wie geht es Ihnen nach dem Meeting? Können Sie mit der Entscheidung leben? Was wünschen Sie sich von mir, um …?“
Solche Calls sind, sofern die Kommunikation primär digital erfolgt, nötig, damit zum Beispiel bei größeren Projekten kein Teammitglied emotional verloren geht. Die Bedeutung des Telefons als Kommunikationsinstrument beim Führen auf Distanz sollte man ohnehin nicht unterschätzen, zumal dieses gerade bei Personen, die einen großen Teil ihrer Arbeitszeit am PC oder gar in Videokonferenzen verbringen, folgenden Vorzug hat: Bei einer Telefonkonferenz oder einem Telefonat können sie das Telefon in die Hand nehmen und mit ihm im Raum spazieren gehen. Bei einer Videokonferenz oder einem Videocall hingegen müssen sie die ganze Zeit auf ihrem Stuhl vor dem Monitor sitzen.
Auch auf solche Aspekte sollte man beim Führen von Mitarbeitern auf Distanz achten, zumindest wenn man als Führungskraft Wirkung erzielen und somit ein „Influencer“ des Unternehmenserfolgs sein möchte.
Über die Autorin:
Barbara Liebermeister leitet das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Frankfurt. Ende August erscheint im GABAL-Verlag das neuste Buch der Vortragsrednerin und Managementberaterin „Die Führungskraft als Influencer: In Zukunft führt, wer Follower gewinnt“.