Mehr Transparenz ist die meistgenannte Motivation, ein neues Multiprojekt-Managementsystem einzuführen – ebenso wie ein oft genannter „Erfolg“ nach der Implementierung. Aber ist Transparenz Selbstzweck? Oder ist sie nicht eher das Mittel zum eigentlichen Zweck?
Eine Veränderung kann keine durchbrechenden Erfolge bringen, wenn sie die falschen Ziele verfolgt. Mehr Transparenz taucht dementsprechend häufig als Forderung auf. Doch was kann mehr Transparenz tatsächlich bewirken? Um Enttäuschungen zu vermeiden, lohnt es sich, der Frage nachzugehen, was wirklich hinter der so oft gewünschten Transparenz steckt. Ein Beispiel aus der Praxis verdeutlicht dies. Der Geschäftsführer eines mittelständischen Unternehmens, das mit einem neuen Multiprojekt-Managementsystem mehr Transparenz erreichen will, skizziert seine Situation folgendermaßen: „Wir haben unseren Kunden zugesagt, dieses Jahr Anlagen im Wert von 135 Mio. Euro zu liefern, schaffen aber derzeit nur ein Volumen von 130 Mio. Euro. Eine Vertragsstrafe von 0,5 Mio Euro ist die Folge. Trotzdem machen wir noch Gewinn. Für das nächste Jahr sind bereits Anlagen im Wert von 170 Mio. €uro verkauft, dazu kommt der Rückstand von 5 Mio Euro. Unsere Kapazität wird damit weit überschritten. Die benötigten zusätzlichen Mitarbeiter bekommen wir z. Zt. nicht bzw. wenn wir sie bekommen könnten, wären sie erst in der zweiten Hälfte nächsten Jahres kapazitätswirksam. Das hat zur Folge, dass Projekte sich um Ressourcen streiten, dass Mitarbeiter zwischen verschiedenen Projekten hin und her springen und dass die Schuld für Probleme bei anderen gesucht wird. Immer öfter muss ich ins Tagesgeschäft eingreifen und Entscheidungen treffen.“
Anforderungen an ein neues Multiprojekt-Management
Diese Konstellation liegt den Verbesserungsaktivitäten zugrunde und es ergeben sich folgende Anforderungen daraus:
- Selbststeuerung, d. h. wenig Eingriffe der Geschäftsführung in das Tagesgeschäft
- Klima der Zusammenarbeit verbessern, an einem Strang ziehen
- Mehr Projekte mit den gleichen Ressourcen pro Jahr fertigstellen
- Zuverlässige Lieferung (von 30 auf über 90 Prozent erhöhen – und das ohne Kompromisse bei der Qualität)
- Kürzere Projektlaufzeiten (von 18 auf 9 Monate durchschnittlich reduzieren)
Worum geht es wirklich?
Genaueres Nachfragen hat den Wunsch nach „mehr Transparenz“ wie so oft umgewandelt in den Wunsch nach „sehr viel besserer Performance“. Dies erscheint auch offensichtlich: Ein Unternehmen, das optimal läuft und keinen Verbesserungsbedarf sieht, hat keinen Grund, seine Arbeitsweisen unter die Lupe zu nehmen. Die angebliche Transparenz ist also nur ein Mittel, Durchblick und Kontrolle zu erhalten, um die Mitarbeiter zu besserer Leistung anzutreiben. Es lohnt sich also, diesen Wunsch nach Transparenz zu hinterfragen und das tatsächliche Problem zu identifizieren, bevor weitläufige Veränderungen vorgenommen und neue Systeme eingeführt werden. Denn Transparenz an sich kann nichts bewirken, so lange man nicht weiß, wonach man sucht. Es kann sogar nach hinten losgehen. Geht man zum Beispiel von der (falschen) Annahme aus, „die Optimierung eines Teils führt zur Optimierung des Ganzen“ und benutzt das Multiprojekt-Managementsystem dazu, akribisch die Fertigstellungstermine einzelner Aufgaben zu überwachen, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn das zu keinerlei Verbesserung der Fertigstellungstermine führt.
Probleme lösen und Veränderungen planen
Von neuen Multiprojekt-Management-Systemen erwarten sich Unternehmen häufig einen besseren Überblick über die Projekte, ihren Fortschritt und eventuelle Probleme wie Zeit- oder Budgetüberschreitungen sowie eine entsprechende Optimierung. Dabei ist es oft sinnvoller, wenn das MPM-System darauf ausgerichtet wäre, das bereits bekannte Problem zu beheben, anstatt die bereits bekannten Symptome aufzuzeigen und erst dann die notwendigen Veränderungen zu planen. Dazu sind messbare Anforderungen nötig:
- Wie viele Projekte werden durch das neue MPM mehr möglich? Werden mehr Projekte pro Monat fertig als vorher?
- Macht es die Projekte zuverlässiger? Halten sie ihre Termine ein? Kommen sie mit ihren Budgets besser aus? Erfüllen sie besser die vereinbarten Spezifikationen?
- Streiten sich die Projekte während der Projektrealisierung weniger um Ressourcen?
- Wird es die Marktposition verbessern? Wie viele Projekte werden durch das neue MPM mehr verkauft?
- Wird das Vertrauen der Mitarbeiter in ihre Führungskräfte steigen? Gehen die Mitarbeiter und Führungskräfte morgens lieber in die Arbeit?
Zugegeben: Werden solche Anforderungen gestellt und wird der Erfolg mit solchen Fragen ermittelt, kann es gelegentlich ziemlich anstrengend werden. Die unternehmerische Zugkraft solcher Überlegungen ist allerdings auch größer als „mehr Transparenz“. Es lohnt sich also, diesen zusätzlichen Schritt vor der Veränderung durchzuführen, um einen wirklich durchschlagenden Erfolg zu erzielen. Es ist keinem damit geholfen, unangenehme Fragen in die Zukunft zu verschieben.
Über den Autor:
Uwe Techt ist Geschäftsführer der VISTEM GmbH & Co. KG und gilt als Vorreiter im deutschsprachigen Raum für die Nutzung der Theory of Constraints (TOC) und des Critical Chain Projektmanagements. Als strategischer Denker für grundlegende Verbesserungen und Durchbruchsinnovationen ist der Topmanagement Coach auch gefragt als Speaker und Autor. Zuletzt von ihm erschienen ist das Fachbuch „PROJECTS that FLOW“.