Bei der Selbstkritik das rechte Maß behalten

Bei der Selbstkritik das rechte Maß behalten
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Selbstkritik ist wichtig – unter anderem um aus Erfahrung zu lernen. Doch wenn wir permanent mit uns hadern und an uns zweifeln, bewirken wir das Gegenteil. Deshalb sollten wir Freundschaft mit unserem „inneren Kritiker“ schließen.

Viele Menschen hadern permanent mit sich selbst. Stets haben sie das Gefühl, eigenen und fremden Ansprüchen nicht zu genügen – zum Beispiel im Beruf. Als Ursache hierfür werden in Coachings immer wieder äußere Stressoren wie Termindruck, eine hohe Arbeitsbelastung und permanente Veränderungen am Arbeitsplatz genannt, Doch neben diesen äußeren gibt es auch innere Stressoren: zum Beispiel ein zu hoher Anspruch an sich selbst, der sich in Form eines inneren Kritikers artikuliert.

Eine zu heftige Selbstkritik ist schädlich

Stellen Sie sich vor, Sie verhaspeln sich in einer Präsentation oder Sie haben bei Ihrer Arbeit etwas vergessen. Wie reagieren Sie dann? Überziehen Sie sich dann innerlich mit einer Tirade von Selbstvorwürfen und -beschimpfungen? Bei nicht wenigen Menschen ist das so, denn sie haben die Überzeugung verinnerlicht: Wer erfolgreich sein möchte, muss selbstkritisch sein. Das Hadern mit sich wird sozusagen als Stimulanz gesehen, um sich selbst zu inspirieren und zu verbessern.

Auf der körperlichen Ebene lässt sich feststellen: Eine zu heftige Selbstkritik und große Unzufriedenheit mit sich selbst, versetzt uns in Aufregung. Die Folge: Stresshormone werden ausgeschüttet. Das wäre positiv, wenn wir diese als Aktivierungsenergie nutzen könnten – zum Beispiel, um vor einer Gefahr zu flüchten wie unsere Ahnen in der Steinzeit. Am Schreibtisch sitzend bauen wird diese Hormone aber nicht ab. Dort lösen sie bei uns unter anderem innere Unruhe, Unkonzentriertheit und Bluthochdruck aus.

Auf der emotionalen Ebene gilt: Durch eine heftige Selbstkritik werden negative Empfindungen zwar überlagert, doch nicht verarbeitet – im Gegenteil. Aus der psychologischen Forschung ist bekannt, dass unterdrückte Emotionen sich verstärken. Deshalb müssen wir immer mehr Energie aufwenden, um unseren inneren Kritiker im Zaum zu halten und unsere Unzufriedenheit vor der Außenwelt zu verbergen. Dies führt nicht selten dazu, dass wir irgendwann die Selbstkontrolle verlieren und unangemessen äußere Impulse reagieren.

Bei der Selbstkritik das rechte Maß behalten

Selbstkritik kann ein Motivator sein. Doch wenn wir permanent mit uns hadern, mindert dies mit der Zeit unser Selbstbewusstsein und unsere Fähigkeit zu agieren. Wie so viele Dinge hat auch der innere Kritiker zwei Seiten. Eine Wurzel von ihm ist Angst. Ein bisschen Furcht in dem Sinne von „Was passiert, wenn ich diese Präsentation verhaue“ kann durchaus für eine gewisse Zusatzmotivation sorgen. Wird die Angst aber zu groß, führt sie zu einer Blockade unseres Denkvermögen und unserer Kreativität.

Mit dieser Angst eng verknüpft ist die Scham „Ich bin nicht gut genug“, „Ich genüge den Ansprüchen nicht.“ Sie schränkt unsere Fähigkeit ein, aus einer misslichen Situation zu lernen, denn wenn die Scham dominiert, fragen wir uns nicht mehr zukunftsorientiert „Was lerne ich aus dem Fehler?“. Wir fühlen uns vielmehr wertlos und zu schwach, herausfordernde Aufgaben zu meistern. Nagt dieses Gefühl dauerhaft an uns, kann dies sogar Depressionen auslösen.

Die US-amerikanische Psychologin Kristin Neff, Professorin an der Fakultät für Pädagogische Psychologie der University of Texas in Austin, erachtet vor allem ein sogenanntes Selbstmitgefühl als wichtig, um den inneren Kritiker zu mäßigen. In Studien fand sie heraus:

  • Menschen mit einem ausgeprägten Selbstmitgefühl, übernehmen mehr Verantwortung für ihr Leben und ihre Fehler; sie sind zudem selbstbewusster. Und:
  • Die meisten Menschen sind deutlich mitfühlender und verständnisvoller für andere Menschen als für sich selbst.

Freundlich und verzeihend zu sich selbst sein

Doch was meint der Begriff Selbstmitgefühl eigentlich? Einfach ausgedrückt: Freundlich zu sich selbst sein. Das heißt unter anderem, dass wir

  • das Machen von Fehlern als menschlich erachten,
  • Verständnis für uns selbst haben und
  • uns nicht permanent für unsere Unzulänglichkeiten kritisieren.

Denn wer behauptet, dass wir keine Schwächen haben dürfen und uns alles auf Anhieb gelingen muss? Zu einem guten Freund sagen wir, wenn er Fehler macht, auch nicht:

  • „Du bist ein Idiot.
  • Das hättest Du besser wissen müssen.
  • Du bist und bleibst ein Versager.“

Täten wir dies, hätten wir bald keine Freunde mehr. Bei sich selbst sind viele Menschen aber geradezu erbarmungslos mit ihrer (Selbst-)Kritik – und wundern sich dann, dass ihr Selbstwertgefühl hierunter leidet.

Oft wird ein Selbstmitgefühl mit Selbstmitleid verwechselt. Doch zwischen ihnen besteht ein fundamentaler Unterschied: Eine Person, die Selbstmitleid empfindet, ist förmlich überflutet von den eigenen Problemen. Sie nimmt nicht mehr wahr, dass es auch andere Menschen Probleme haben. Selbstmitgefühl hingegen ermöglicht es uns, unser Tun bzw. Verhalten mit einem gewissen Abstand zu betrachten und zu analysieren, wenn

  • wir beim Lösen einer Aufgabe scheitern oder
  • uns unser eigenes Verhalten missfällt,

– und zwar ähnlich wohlwollend und verständnisvoll, unterstützend und problemlösungsorientiert wie bei einem Freund oder einer Freundin

Selbstmitgefühl setzt Achtsamkeit voraus

Selbstmitgefühl setzt sich aus drei Komponenten zusammen:

  • Selbstliebe,
  • Achtsamkeit und
  • der Akzeptanz, ein Mensch zu sein.

Mit der Akzeptanz, ein Mensch zu sein, verbunden ist die Bereitschaft zu akzeptieren,

  • dass Dinge nicht immer so laufen, wie wir es gerne hätten, und
  • deshalb Verluste, Fehler und Grenzerfahrungen nebst den damit verbundenen Gefühlen „normale“ Bestandteile unseres Lebens sind.

Das setzt auch eine gewisse Achtsamkeit voraus, so dass uns bewusst wird, was wir (nicht) getan haben. Dieses unser Verhalten gilt es mit einem gewissen Abstand realistisch zu betrachten und zu analysieren – ohne unseren Beitrag zu schmälern oder überzubewerten. Denn nur dann können wir das Geschehene adäquat bewerten, als Erfahrung annehmen und daraus lernen. Diese Fähigkeit brauchen wir in der von rascher Veränderung und sinkender Planbarkeit geprägten VUKA-Welt mehr denn je – beruflich und privat.

Verfügt eine Person über diese Fähigkeit, dann kann sie hiermit auch ihr Umfeld infizieren. Auch dies zeigen die Studien von Kristin Neff. Dieser Befund ist zum Beispiel für Führungskräfte relevant. Leben sie ihren Mitarbeitern beispielsweise eine Haltung  vor, die davon ausgeht „Es ist normal bzw. menschlich, dass mir vieles nicht auf Anhieb gelingt. Also versuche ich es, wenn nötig, noch einmal“, dann nehmen in der Regel auch ihre Mitarbeiter die Botschaft wahr und auf. Das heißt, auch sie entwickeln ein entsprechendes Selbstmitgefühl und verhalten sich demgemäß.

Dem inneren Kritiker Einhalt gebieten

Manchmal ist es nicht leicht, dem mentalen Dialog mit dem inneren Kritiker zu entrinnen, denn diese Gedanken tauchen blitzschnell auf und lösen in uns tief in verankerte (Verhaltens-)Muster aus. Ein erster Schritt, um dieses Reiz-Reaktionsschema zu durchbrechen, ist, die überzogen selbstkritischen Gedanken bewusst wahrzunehmen und sie mit einem inneren „Stopp“ zu unterbrechen. Dies gelingt Ihnen, indem Sie statt in die übliche Schimpftirade zu verfallen, sich zum Beispiel vorstellen, was Sie einem guten Freund in einer solchen Situation sagen würden. Stellen Sie sich das bildhaft vor, und sagen Sie dies dann zu sich selbst.

Der stärkste Veränderungshebel ist jedoch, mit unserem inneren Kritiker Freundschaft zu schließen. Sagen Sie zu ihm beispielsweise: „Danke, ich sehe, dass Du mir mit Deiner Kritik eigentlich helfen willst. Doch folgender Weg ist für mich vermutlich hilfreicher und unterstützender: Ich verändere etwas und stärke mein Selbstmitgefühl.“ Dann wird der innere Kritiker zwar gehört und wahrgenommen, also muss er nicht lauter werden, um gehört zu werden. Zudem gewinnt er keine Macht über Sie, und Sie leiden nicht unter ihm.

Ziel: Selbstbewusster und selbstwirksamer werden

Mittlerweile gibt es etwa 4000 Studien zu diesem Thema. Sie belegen: Menschen mit einem ausgeprägten Selbstmitgefühl sind selbstbewusster und selbstwirksamer. Sie sind zudem entschlossener und zupackender als andere Menschen. Außerdem schlafen sie besser und neigen seltener zu einem Suchtverhalten. Zusammenfassend kann man sagen: Mit einem inneren Kritiker, der faktisch ein wohlgesonnener innerer Verbündeter von uns ist, werden wir stärker und meistern wir leichter schwierige Zeiten und Situationen. Wer braucht eine solche Energiequelle heutzutage nicht?

Über die Autorin:

Emig, YvonneYvonne Emig ist als Trainerin und Coach u.a. auf die Themen Führungskräfteentwicklung, Change-, Konflikt- und Selbstmanagement spezialisiert. Sie arbeitet als freie Mitarbeiterin für  die Unternehmensberatung Machwürth Team International als Management-Consultant und -Coach.

 
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