„Ich schaffe das nicht mehr.“ Dieses Gefühl plagt immer mehr Berufstätige. Unter anderem, weil sie im Job ständig vor neuen Herausforderungen stehen, für deren Lösung sie noch keine Routine entwickelt haben. Eine entsprechend große mentale Kraftanstrengung kostet es sie, diese zu meistern.
„Besuchen Sie ein Zeitmanagementseminar.“ Diesen Tipp erhielten Mitarbeiter in den vergangenen zwei Jahrzehnten oft von Führungskräften, wenn sie klagten: „Mir wird alles zu viel.“ Das taten denn auch Heerscharen von Mitarbeitern. Und Zeit- und Selbstmanagementseminare entwickelten sich zu einem Standardangebot im Weiterbildungsprogramm der Unternehmen. Dort lernten die Mitarbeiter, „wichtige“ von „dringlichen“ Aufgaben zu unterscheiden und in ihrem Arbeitsalltag Prioritäten zu setzen – „was bei vielen Mitarbeitern tatsächlich zu einer Entlastung führte“, weiß Michael Reichl.
Kein Zufall ist es für den Geschäftsführer des Beratungsunternehmens im-prove, Lingen (Ems), dass der Boom der Zeitmanagementseminare just begann, als vor circa 25 Jahren viele Unternehmen die Arbeitsabläufe in ihrer Organisation neu strukturierten – auch als Folge der rasanten Entwicklung der Informationstechnologie. Erledigte zuvor jeder Mitarbeiter schlicht die in seiner Stellenbeschreibung definierten Aufgaben, so war nun plötzlich Team- und Projektarbeit angesagt. Und die Kollegen – auch in den anderen Bereichen? Sie sollten fortan als „Kunden“ angesehen werden, gegenüber deren Wünschen man sich nicht mehr mit einer Bemerkung wie „Das gehört nicht zu meinem Job“ verschließen kann. Dadurch erhöhte sich bei vielen Mitarbeitern „die gefühlte Arbeitsbelastung“.
Neue Medien krempeln Arbeitswelt um
Blickt man jedoch heute auf die damalige Situation zurück, dann denkt sich vermutlich manch leicht ergrauter Arbeitnehmer: Was war das für eine geruhsame Zeit. Zwar standen in den meisten Büros bereits PC. Doch das Internet? Das kannten nur einige Wissenschaftler. Und E-Mails versenden? Der Siegeszug der elektronischen Post begann erst 1993. Und Mobiltelefone? Die hatten damals außer den „big Bossen“ bestenfalls einige Außendienstmitarbeiter. Und heute? Heute sind diese Medien ganz selbstverständlich in den Arbeitsalltag der meisten Berufstätigen integriert.
„Ich muss stets und überall erreichbar sein – und wenn nicht, dann muss ich wenigstens so schnell wie möglich reagieren.“ Dieses Empfinden hat sich nicht nur zu einem Lebensgefühl vieler Menschen entwickelt. In vielen Jobs sind Berufstätige tatsächlich mit dieser Erwartung konfrontiert.
Problem: permanent „rufbereit“
Doch nicht nur wegen der permanenten „Rufbereitschaft“ fällt es immer mehr Menschen schwer, mal abzuschalten. Hinzu kommt: Sie stehen in immer kürzeren Zeitabständen vor neuen Herausforderungen – nicht nur am Arbeitsplatz. Denn Fakt ist es laut Aussagen der systemischen Beraterin Christina Seitter von der Managementberatung Müllerschön, Starzeln: „Die Unternehmen müssen heute in immer kürzeren Zeitabständen ihre Strategien sowie Art, Aufgaben zu lösen, überdenken. Für ihre Mitarbeiter bedeutet dies: An sie werden häufiger neue Anforderungen gestellt. Und sie müssen gewohnte Denk- und Verhaltensmuster aufgeben.“ Das führt bei vielen Mitarbeitern zu einem Gefühl der Überforderung.
Für die Wiener Wirtschaftspsychologin Sabine Prohaska ist jedoch klar: Das Gefühl der Überforderung resultiert meist weniger aus dem Berg von Herausforderungen, vor dem die Betroffenen stehen. Es resultiert vielmehr daraus, dass die Herausforderungen oft neu sind, und die Betroffenen für sie noch keine Lösungsstrategien haben. „Eine entsprechend große mentale Kraftanstrengung kostet es sie, diese zu meistern.“
Ähnlich sieht dies der Managementberater Michael Schwartz vom ilea-Institut, Esslingen. Er ist überzeugt: Das klassische Zeit- und Selbstmanagement stößt an seine Grenzen. „Es wird zwar auch künftig ein nützliches Instrument sein, um Routineaufgaben zu lösen. Was viele Mitarbeiter heute aber brauchen, ist eine aktive Unterstützung beim Lösen neuer Aufgaben.“ Und: Sie müssen die Grundzuversicht entwickeln „Ich schaffe das schon – alleine oder mit selbstorganisierter Unterstützung“. Sonst geraten sie in der modernen Lebens- und Arbeitswelt immer wieder in Situationen, in denen sie sich nicht nur überfordert fühlen, sondern dies auch sind.
Ein Burn-out wird schnell teuer
Das haben viele Unternehmen erkannt. Deshalb offerieren sie ihren Mitarbeitern außer Stressmanagementseminaren und Entspannungstrainings zunehmend Seminare, um ihre Resilienz, also Widerstandskraft zu stärken. Und wer das Gefühl hat „Ich steuere auf einen Burn-out zu“? Der kann sich laut Christina Seitter immer häufiger mit einem Coach treffen, um mit ihm Präventionsstrategien zu erarbeiten.
Dies alles tun die Unternehmen „auch aus betriebswirtschaftlichen Gründen“, betont Seitter. Denn wenn ein Mitarbeiter wegen eines Burn-outs ausfällt, fehlt er in der Regel ein halbes Jahr. Und völlig unklar ist in dieser Zeit: Kommt er danach zurück und wenn ja, wie stark ist er anschließend belastbar?
Autorin: Stefanie Schmahl