
„In agilen Organisationen, die diesen Prozess wirksam umsetzen, blühen Menschen auf, das Leuchten in den Augen kommt zurück, Kreativität und nachhaltiger Kundennutzen entstehen.“ Wolfram Müller
Auch wenn vielen Unternehmen die Dringlichkeit und Notwendigkeit bewusst ist, wissen doch die wenigsten, was es bedeutet, in letzter Konsequenz agil zu sein. Voller Elan springen sie auf den Schnellzug auf, in der Hoffnung, endlich flexibler, beweglicher, lebendiger zu werden. Schließlich fordert es der globale Markt ebenso wie die Businessprozesse und die digitale Transformation. Stimmt allerdings das Mindest nicht, bleibt dabei nicht nur der angestrebte Erfolg eines nachhaltigen Wachstums auf der Strecke, sondern vor allem die Menschen.
Ein Hype greift im Businesskontext derzeit immer mehr um sich: Die agile Transformation als notwendiger Teil der digitalen Transformation. Auf die Frage, wohin sie sich entwickeln wollen, haben zwar die wenigsten Unternehmen eine Antwort. Trotzdem fragen sie sich, wie sie sich möglichst rasch die Schnelligkeit und Flexibilität aneignen können, die die digitale Transformation tagtäglich verlangt. Denn eines ist ihnen längst klar: Nur wer Projekte und Veränderungen mit einer hohen Geschwindigkeit stemmt, kann im digitalen Wandel bestehen.
Leistungsstark in einem dynamischen Umfeld
Im Bewusstsein, dass sie zukünftig nur weiter nachhaltig wachsen können, wenn sie zuverlässiger, schneller und innovativer als die Konkurrenz sind, führen viele Unternehmen agile Methoden ein. Möglichst rasch soll Agilität die Performance steigern. Dabei wird jedoch übersehen, dass sich agil nicht für alle Projekte eignet bzw. agile Methoden alleine manchmal nicht ausreichen. Häufig ist ein Mix aus agilen und klassischen Methoden notwendig, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Einfach irgendwelche agilen Methoden einzuführen, ist keine Lösung. Mögen sie im Einzelfall auch noch so leistungsstark sein, ist es – um die Wirksamkeit zu garantieren – im Vorfeld entscheidend, sich intensiv mit dem jeweiligen Unternehmen auseinanderzusetzen: Welche Situation liegt vor? Welches Mindset soll erreicht werden? Welche Hürden sind zu bewältigen? Welche alten Zöpfe müssen abgeschnitten werden? Entsprechend den Antworten erfolgt dann im Idealfall die Auswahl der richtigen Methoden – ob agil und/oder klassisch.
Ein Blick in die Historie
Auch wenn die Unternehmenswelt derzeit von agil bestimmt wird, ist es nichts Neues. Bereits vor 15 Jahren gab es in der Softwareentwicklung mit „eXtreme Programming“ erste Experimente mit agilen Methoden – bis hierhin zurück reicht die Erfahrung von Vistem. Fast zehn Jahre sind vergangen, seitdem die ersten agilen Großprojekte gestartet wurden. Seither hat sich der Hybrid aus CCPM und Agile sowie mit Reliable/Ultimate Scrum kontinuierlich weiter verbessert. 2013 folgten dann die erste hybride voll skalierbare Multiprojektmanagement Implementierungen sowie im darauffolgenden Jahr die Optimierung des Einführungsprozesses auf Geschwindigkeit und Sicherheit mit QuiStain®. Das alles zeigt eines jedoch ganz deutlich: Genauso wie die agilen Methoden kontinuierlich einem Wandel unterliegen, muss sich auch der Umgang mit diesen agilen Methoden in den Unternehmen verändern. Nur wenn das Mindset – die Haltung im Unternehmen – passt, kann agil wirksam werden.
Agiles Mindset
Ein Mindset geht über Methoden hinaus und besteht aus vielen Aspekten. Wollen Unternehmen agil werden, müssen sie sich zunächst einmal fragen „Was will ich erreichen?“. Passt die Vision des maximalen Kundenutzens, indem man schnell genau das Richtige tut, wirklich zu mir und meinem Markt. Ein agiles Mindset spricht hier weniger für ein konservatives Bild. Vielmehr stehen agile Unternehmen für eine progressive Richtung, sind in vielerlei Hinsicht Veränderer und Vorreiter. Weiter geht es mit den Werten – hier steht ganz klar der Mensch im Mittelpunkt. Des Weiteren liegt der Fokus darauf, etwas Nützliches zu erzeugen und dabei vom Kunden zu lernen. Schließlich halten agile Unternehmen nicht an einem einmal gefassten Plan fest. Veränderungen werden begrüßt, sodass alles ständig im Fluss ist. Als nächstes geht es um Fähigkeiten, beispielsweise fachlich top ausgebildete Mitarbeiter zu haben, die miteinander klar und konkret kommunizieren. Kooperation und Reflexion gehören ebenfalls dazu. Wobei aber niemals vergessen werden darf, dass es letztendlich um eines geht: Täglich in der Lage zu sein, sein Produkt zu bauen. Nur so kann schnelles Feedback von Kunden wirklich wirken. Erst jetzt geht es um Methoden respektive Verhalten. Mit den Methoden soll sichergestellt werden, dass jeder weiß, was zu tun ist sowie der Work-in-Progress begrenzt, um durch eine gemeinsame Planung und tägliche Kontrolle des Fortschritts schnelle Iterationen möglich zu machen. Das alles steht natürlich in einem gewissen Kontext, wie Produktentwicklung, Projekt oder Dienstleistung.
Sich Stolpersteine bewusstmachen
Agil zu sein, hat Konsequenzen – für das Unternehmen ebenso wie für alle Mitarbeiter. Dabei gibt es Hürden, die man kennen sollte, um nicht in guter Absicht einen Schaden zu verursachen. Vier Stolpersteine haben sich herauskristallisiert:
- AGIL ist ein Mindset
– das Mindset des Unternehmens muss dazu passen. Ist ein Unternehmen beispielsweise sehr auf Termine fixiert, passt das nicht zu agil. Probleme sind vorprogrammiert, wird dieser Aspekt nicht berücksichtigt. Eine Anpassung des Methodenmix = Kombination aus klassisch und agil hilft.
- AGIL ist höchst leistungsfähig
– der Engpass des Unternehmens muss adressiert werden. Beispiel: In einem Unternehmen wird die Softwareentwicklung auf agil umgestellt. Diese ist dadurch sehr schnell, im Gegensatz zur Hardware und Elektronik, die noch nicht agil agieren. Wichtig ist es also, immer das große Ganze im Blick zu haben.
- AGIL erfordert schnelle Integration/Iterationen
– man muss sein Produkt oft (täglich) „bauen“ können. Regelmäßiges Feedback des Kunden ist notwendig. Der Prozess dafür muss automatisiert sein. Die Mitarbeiter hinter der Methode stehen.
- AGIL fokussiert auf Effektivität/Fluss
– weder der Engpass noch eine andere Ressource im Unternehmen darf überlastet sein! Agil bedeutet, dass Ressourcen auf Arbeit warten. Nicht einmal der Engpass darf voll ausgelastet sein. Es gibt kein negatives Multitasking. Das muss man aushalten können.
Auf die Frage „Agil um jeden Preis?“ kann die Antwort nur NEIN lauten. Ansonsten spricht alles für agile Methoden – sofern diese auf die jeweiligen Bedürfnisse zugeschnitten sind und dem angestrebten Ziel entsprechend mit klassischen Methoden kombiniert werden. Dann allerdings bringt die agile Transformation für alle Vorteile: Das Unternehmen kann nachhaltig wachsen, Umsatz und Gewinn steigern. Gang und gäbe sind Durchsatzsteigerungen von mehr als 50 % bis hin zu Faktor vier. Auch lässt ich oft Projektlaufzeit halbieren und damit einher geht die Erhöhung der Terminzuverlässigkeit auf fast 100 %. Führungskräfte sowie Team- und Projektleiter profitieren nicht nur von einer höheren Qualität der Arbeit und Prozesse, sondern auch davon, dass Probleme leichter gelöst werden können und dadurch die Führung fokussiert wird. Fachkräfte schließlich können mit ihrem Team gemeinsam wachsen und den sinnvollen nächsten Schritt auf der Karriereleiter gehen. Eine erfolgreiche agile Transformation in jeder Hinsicht!
Checkliste zu agilen Methoden
Unbestritten ermöglichen agile Methoden in Unternehmen einen großen Fortschritt. Folgende vier Bereiche gilt es zu berücksichtigen:
1. Notwendige Randbedingungen
Die Wirksamkeit von agilen Methoden erfordert zunächst einmal notwendige Randbedingungen (Checkliste R1 bis R5). Sind diese nicht gegeben, kommt es schnell zur „Katastrophe“. Für Unternehmen wichtig zu wissen: Gerade bei komplexen Projekten sind diese Randbedingungen nur selten wirklich erfüllt – daher Achtung!
2. Voraussetzungen für den Beschleunigungserfolg
Der durchschlagende Erfolg von agilen Methoden basiert darüber hinaus auf der Eliminierung negativer Symptome in der Arbeitssteuerung (Checkliste S1 bis S4). In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass der oft versprochene durchschlagende Geschwindigkeitsvorteil agiler Methoden nur sichtbar wird, wenn die negativen Effekte überhaupt bestehen. Ein Unternehmen, das diese Effekte über andere Methoden (z. B. CCPM/Taskboards) bereits stark reduziert hat, wird die Beschleunigung über diese Mechanismen nicht mehr in dem eigentlichen Maße realisieren können.
3. Nebenwirkungen durch „veraltete“ agile Methoden
Wenn von agilen Methoden gesprochen wird, kommt es häufig vor, dass diese mit Scrum verwechselt werden. Scrum ist ein agiles Methodenset, das sehr stark auf IT und schwierige Unternehmenssituationen (hoher WIP und schlechtes Management) ausgelegt ist. Scrum hat Eigenschaften, die in diesen Situationen wichtig sind – in einem guten Umfeld aber stören und wiederum negative Effekte erzeugen. Wollen Unternehmen also die höchste Performance von agilen Methoden nutzen, müssen sie angedachte agile Praktiken (Checkliste P1 bis P10) weiter voranbringen.
4. Fehlende Fähigkeiten von agilen Methoden
Die agilen Methoden haben sich aus der effizienten Arbeit von Teams entwickelt. Das ist ihre große Stärke, aber auch eine Quelle von Schwächen. Wichtig ist, die Grenzen von agilen Methoden (Checkliste W1 bis W5) zu kennen. Sind Unternehmen beispielsweise in einem Umfeld aktiv, das Charakteristika aufweist, die zu den Schwächen von agilen Methoden zählen, ist Vorsicht geboten und mit erhöhtem Aufwand zu rechnen.
Die nachfolgende Checkliste soll helfen, diese vier Bereiche eingehend zu durchleuchten, um vor allem große kritische Stolperfallen zu vermeiden.
Checkliste Agile Methoden
Kriterium | Antwort | Anmerkung | |
Randbedingungen | R1 Projekt besteht aus vielen kleinen relativ unabhängigen Teilaufgaben? | [ ] ja, [ ] nein | Wenn Sie versucht sind, eine der Fragen mit nein zu beantworten, ist dies ein deutlicher Hinweis, dass hier deutlich ausgeprägter Projektcharakter vorliegt – in dem Fall ist eine Kombination der agilen Methoden mit echtem Projektmanagement (idealerweise CCPM) zu erwägen. |
R2 Es ist möglich, ein Team zu bilden mit allen notwendigen Fähigkeiten? | [ ] ja, [ ] nein | ||
R3 Es ist möglich, in kurzen Zyklen zu integrieren? | [ ] ja, [ ] nein | ||
R4 Es gibt einen Verantwortlichen, der über das Produkt entscheiden kann? | [ ] ja, [ ] nein | ||
R5 Es existiert eine Vision des Projektergebnisses? | [ ] ja, [ ] nein | ||
Negative Symptome | S1 Negatives Multitasking ist deutlich ausgeprägt? | [ ] ja, [ ] nein | Wenn mehrere Antworten mit ja beantwortet werden, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass eine Verbesserung erzielbar ist. Mindestens jedoch muss das Symptom S1 „negatives Multitasking“ vorhanden sein. |
S2 Die Kommunikation unter den Beteiligten ist unzureichend? | [ ] ja, [ ] nein | ||
S3 Sieht sich die unterste Führung nicht als echte Führungskraft? | [ ] ja, [ ] nein | ||
S4 Es besteht nur wenig Transparenz bzgl. Arbeitsflusses? | [ ] ja, [ ] nein | ||
Angedachte Agile Praktiken | P1 Sprints mit festem Scope sind vorgesehen? | [ ] ja, [ ] nein | Die hier gelisteten Praktiken aus dem agilen Umfeld sind alle in sich valide – sind aber sehr abhängig vom Umfeld.
Die hier genannten Praktiken haben alle nachweislich auch negative Seiteneffekte.
Wenn Sie daran denken, diese Methoden einzusetzen, sollten sie diese genau prüfen, denn ggf. sind diese nicht für Ihr Unternehmen geeignet.
Diese Punkte sind als „Achtung“ ggf. veraltet zu sehen – für jeden der Punkte gibt es heute schon leistungsfähigere Konzepte. |
P2 Die Teamgröße ist fixiert?
|
[ ] ja, [ ] nein | ||
P3 Es sind keine Releasetermine geplant? | [ ] ja, [ ] nein | ||
P4 Es ist die zusätzliche Schaffung der Rolle Scrum-Master/Coach geplant? | [ ] ja, [ ] nein | ||
P5 Es sind Stand-Ups zur inhaltlichen Kommunikation angedacht? | [ ] ja, [ ] nein | ||
P6 Planning I und II werden mit der kompletten Gruppe geplant? | [ ] ja, [ ] nein | ||
P7 Sprint Reviews sind fest geplant und prominent besetzt? | [ ] ja, [ ] nein | ||
P8 Retrospektiven wird eine hohe Bedeutung zugewiesen? | [ ] ja, [ ] nein | ||
P9 Planning-Poker mit Fibonacci-Zahlen kommt zu Einsatz? | [ ] ja, [ ] nein | ||
P10 Kanban-Board mit Prozessstufen werden eingesetzt? | [ ] ja, [ ] nein | ||
Grenzen | W1 Termineinhaltung ist für das Projekt wichtig? | [ ] ja, [ ] nein | Die agilen Methoden sind im IT- und Teamumfeld entstanden. Auf diesen Anwendungsfall hin sind sie optimiert. Hierdurch haben sie aber nicht alle Fähigkeiten, um auch in anderen Situationen zu skalieren.
Wenn Sie eine der Grenzen überschritten haben, müssen Sie über Agile hinaus Mechanismen etablieren, das die fehlenden Fähigkeiten ergänzt (z.B. CCPM/TOC) |
W2 Agile wird als Pilot eingeführt?
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[ ] ja, [ ] nein | ||
W3 Dem Pilot wird ein Teil der Engpasskapazität fest zugewiesen? | [ ] ja, [ ] nein | ||
W4 Die Teamgröße übersteigt 10 Leute und/oder mehrere Standorte? | [ ] ja, [ ] nein | ||
W5 Die Teile des Projektes sind stark voneinander abhängig? | [ ] ja, [ ] nein |
Quelle: Vistem GmbH & Co. KG 2017
Die Nutzung agiler Methoden sowie einer entsprechenden Projektmanagement-Methodenkompetenz spielt eine wichtige Rolle, um Potentiale im Unternehmen zu heben. Dies zeigt auch die repräsentative wissenschaftliche Studie „Multitasking im Projektmanagement – Status Quo und Potentiale“ von Prof. Ayelt Komus, Professor an der Hochschule Koblenz, und der VISTEM GmbH & Co. KG.
Über den Autor:
Wolfram Müller ist Director of Customer Success (Sales) bei der VISTEM GmbH & Co. KG. Neben der Gründung und Leitung des Geschäftsbereiches Speed4Projects, ist er verantwortlich für die Integration agiler Projektmanagement-Methoden unter Nutzung von Critical Chain auf der systemischen und auf der Softwareseite. Als Dipl.-Ing. Mechatronik und Maschinenbau lernte er die Werkzeuge des klassischen Projektmanagements als Projektmanager in der Medizintechnik und in der IT kennen. Bereits seit 1987 brennt Wolfram Müller für „schnelle Projekte“ und vermittelt inzwischen als gefragter Coach, Berater, Referent und Buchautor (Tame the Flow, The CIO’s Guide to Breakthrough Project Portfolio Performance) die neuesten Methoden des Critical Chain- und „High-Speed“-Projektmanagements.