Eine Karriere im Westen ermöglicht jungen Talenten aus der CEE-Region einen besseren Lebensstandard und Möglichkeiten zur Entfaltung. Die nachfolgende Rückkehr verschafft interessante Karriereperspektiven und hilft der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes.
Ein guter Lebensstandard in einem hochentwickelten Land mit sehr guter Infrastruktur, Freiraum für eigene Entscheidungen, Möglichkeiten zur Weiterentwicklung und die Honorierung für den geleisteten Einsatz sind wichtige Voraussetzungen für die Motivation in der Arbeitswelt. Was in Westeuropa für die Bildungselite als völlig normal und gegeben gilt, ist für hochqualifizierte Menschen in Osteuropa nicht immer selbstverständlich. Der Mangel an den genannten Faktoren und gleichzeitig die Aussicht, das alles eines Tages in einem anderen Land erreichen zu können, weckt ungeheure Motivation und die Bereitschaft, sehr viel zu leisten. Einen stärkeren Zustrom an qualifizierten jungen Talenten aus der CEE-Region wird die Öffnung des Arbeitsmarktes am 1. Mai für Bürger aus Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn und aus den drei baltischen Staaten nicht bringen. Doch fallen die administrativen Hürden für Arbeitgeber beim Beschaffen der Arbeitsbescheinigungen für Schlüsselkräfte aus diesen Ländern weg. Damit wird der erste Schritt für eine Karriere im Westen für mobile Talente aus Osteuropa zukünftig noch einfacher.
Leben im Westen
Für das Leben und eine Karriere in Österreich hat sich vor über zehn Jahren die gebürtige Bulgarin Eva Voycheva entschieden. Die 34-Jährige ist seit vier Jahren in Wien beim Büromöbelhersteller Bene für Marketing und Vertrieb der Produkte in der CEE-Region verantwortlich. Das Interesse für den Westen hat sich bei Eva Voycheva bereits sehr früh entwickelt. Durch das Reiseverbot in Zeiten des Kommunismus entschied sie sich für das Studium „Internationaler Tourismus“ in Sofia, mit der Hoffnung, über ein Austauschsemester eines Tages Einblicke in die westliche Kultur zu bekommen. Mittels Stipendien kam sie an die Wirtschaftsuniversität Wien und die Uni St. Gallen. Durch die Erfahrungen in den Studien und durch Praktika bei internationalen Konzernen hat die wissbegierige Neo-Österreicherin bald ihre Chancen erkannt: „In Bulgarien ist ein Praktikum nur mit den richtigen Beziehungen möglich. Im Westen ist es einfacher, Karriere zu machen. Hier gehe ich meinen Weg und ich weiß, es zahlt sich aus.“ Durch das Studium im Westen hat die junge Managerin die Defizite des Ausbildungssystems in ihrer Heimat erkannt: „Kreative Lösungen, offen die eigene Meinung zu sagen oder auch vor Publikum zu präsentieren, waren an der Wirtschaftsuni in Sofia nicht gefragt.“
Kompetenzen für den Arbeitsmarkt
Dass die osteuropäischen Studienpläne nicht immer die für den Arbeitsmarkt wichtigen Kompetenzen fördern, kritisiert auch Marjan Petreski, Forscher und wissenschaftlicher Vize-Dekan der School of Business Economics and Management der Universität American College Skopje in Mazedonien: „In Mazedonien bringen wir Arbeitskräfte hervor, die im Grunde die geforderten Fähigkeiten nicht besitzen und daher auf dem Arbeitsmarkt selten konkurrenzfähig genug sind. Die Arbeitgeber führen dann aufwändige Weiterbildungsprogramme am Arbeitsplatz durch.“ Der 29-jährige Makroökonom absolvierte seinen Master und PhD in Großbritannien und lernte die Vorzüge der Ausbildung in UK hautnah kennen: „Im westlichen System erhält man Fertigkeiten, die zu kritischer Analyse und kritischen Ansätzen, zu Synthese und zur Herleitung von Schlüssen befähigen. Von der Fertigkeit, Geschäftsideen zu entwickeln, ebenso wie Führungsqualitäten, Ergebnisorientierung, quantitative Fähigkeiten und dem damit einhergehenden Standard ganz zu schweigen.“ Das Wissen gibt er an der Uni in seiner Heimat weiter: „Das hilft meinen Studenten, den Anforderungen der Arbeitgeber zu entsprechen. Das ist mein Beitrag zu den Reformen, die wir schneller einleiten müssen.“ Trotz der Kritik an den eigenen Ausbildungssystemen sind die jungen Absolventen am westlichen Arbeitsmarkt sehr gefragt. Markus Kaiser, Managing Partner des Managementberaters Heidrick & Struggles: „Junge Talente aus der CEE-Region verfügen über überdurchschnittliche Fremdsprachenkompetenz, eine durchaus international geprägte Ausbildung und eine ausgesprochen hohe Mobilität. Es wächst eine Generation an jungen Managern heran, die hinsichtlich Potenzial, Ausbildung, Managementeignung und ‚business ethics‘ einen Vergleich auf internationaler Ebene keinesfalls zu scheuen braucht.“ Die Fremdsprachenkenntnisse sollen den Weg zu einem besseren Lebensstandard ebnen. Eva Voycheva verdeutlicht die Motivation in CEE für eine gute Ausbildung: „Viele junge Leute sprechen mehr als zwei Fremdsprachen. Sprachen öffnen die Tür zur Welt. Und Eltern geben alles, damit ihre Kinder auf die Uni gehen können und einmal ein besseres Leben haben.“
Demotivierende Bedingungen
Kommen die gut ausgebildeten und hochmotivierten Absolventen dann in den Heimat-Arbeitsmarkt, folgt jedoch oftmals Ernüchterung. „Im Osten gibt es eine Diskrepanz zwischen dem, was man studiert, und dem, was am Arbeitsplatz gefordert wird. Und unfaire Bedingungen bei der Arbeitssuche und im beruflichen Weiterkommen, hauptsächlich durch den Einfluss von Familien- oder politischen Beziehungen, wirken sich negativ auf die Motivation aus“, erklärt Marjan Petreski. Für eine Karriere im Westen spricht für den Forscher: „Der Westen bietet mehr faire Bedingungen. Im Westen glauben die Menschen daran, dass ihre Motivation und ihr Engagement gefördert werden, und dass das Unternehmen den Wert schätzt, den ein Mitarbeiter einbringt.“ Ergattern in der CEE-Region Absolventen nicht einen der begehrten Arbeitsplätze bei der Niederlassung eines westlichen Unternehmens, erleben sie mitunter eine Führungskultur, die die Motivation gehörig dämpfen kann. Eva Voycheva über Erfahrungen in ihrer Heimat: „Die Führung in bulgarischen Unternehmen ist sehr autoritär. Mitarbeiter haben auch nie gelernt, Verantwortung zu übernehmen, und haben Angst davor, etwas falsch zu machen.“
Entscheiden und Gestalten
Ein weiterer Grund, der junge CEE-Talente zu einer Karriere in den Westen treibt, ist der Wille, entscheiden und gestalten zu können. Da viele internationale Konzerne in der CEE-Region zwar Tochtergesellschaften haben, die strategischen Entscheidungen aber in den jeweiligen Headquarters getroffen werden, wählen mobile und erfolgshungrige Talente die Arbeit gleich direkt in den Zentralen. „Eine mehrjährige internationale Karriere bei einem namhaften westeuropäischen Unternehmen sowie die nachfolgende Rückkehr in eine attraktiv dotierte Managementposition in CEE ist ein durchaus realistischer Karriereverlauf erfolgreicher CEE-Manager“, zeigt Managementberater Markus Kaiser die Perspektiven auf. Der junge Forscher Marjan Petreski ist nach seiner Ausbildung im Westen nach Mazedonien zurückgekehrt, um sein Wissen an der am schnellsten wachsenden privaten Universität des Landes einzubringen: „Es ist leicht ins Ausland wegzulaufen, wenn man ausreichend Qualifikationen und persönliche Werte besitzt. Der schwierigere Weg ist es, in Mazedonien zu bleiben und zu seiner Entwicklung beizutragen, denn die gesellschaftliche Entwicklung kommt von den Menschen.“ Fazit: Um dem Abfluss von jungen Talenten in den Westen entgegenzusteuern, werden Unternehmen in CEE zukünftig vermehrt Maßnahmen setzen und attraktive Rahmenbedingungen bieten müssen, um Schlüsselkräfte im Land und im Unternehmen halten zu können.
(Erschienen in SUCCEED 02/11) – Text Andrea Jindra Den Beitrag „Bereit für die Extrameile“ gibt es auch als Download auf der Seite von Die BILDUNGSMANAGER
Autor: Andrea Jindra